Erythrocytes properties and viability in dependence of flow and extra-cellular environment

Lars Kaestner

EVIDENCE
48 Monate

Laufzeit

0,5 Mio

Fördersumme Saarland

3 Mio

Fördersumme gesamt

12

Partner

Im Gespräch: Lars Kaestner

Können Sie Ihr Forschungsgebiet und -interesse kurz beschreiben?
Ich beschäftige mich mit roten Blutzellen (Erythrozyten), den Lastentieren im Blutkreislauf, und deren Entstehung aus Stammzellen, der so genannten Erythropoese. Außerdem erforsche ich die Funktion roter Blutzellen im Körper, die weit über den Sauerstoff- und CO2-Transport hinausgeht, ihren Wechselwirkungen mit anderen Zellen und schließlich der 'Beseitigung' alter Zellen – im Menschen nach etwa 120 Tagen. Von besonderem Interesse ist, wenn ein Prozess nicht so abläuft, wie er eigentlich soll und damit Krankheitssymptome entstehen. Diese wollen wir verstehen und möglichst korrigieren. Dazu müssen manchmal neue Wege beschritten werden, neue Methoden oder Geräte entwickelt, Medikamente erforscht und getestet werden. Das sind oft komplexe Aufgaben, die ein interdisziplinäres Arbeiten erfordern.

Seit Januar 2020 koordinieren Sie das von der EU geförderte Innovative Training Network (ITN) „EVIDENCE“. Worum geht es in dem Projekt? Was ist das Neuartige an EVIDENCE?
Um Krankheiten zu verstehen und diagnostische Verfahren zu entwickeln, müssen Experimente möglichst nahe an das biologische Vorbild herankommen. Rote Blutzellen beispielsweise werden idealerweise in der Strömung untersucht, wie sie auch im Körper vorkommt. Bisherige Experiment-Konfigurationen lassen das nur bedingt zu. Das EVIDENCE Forschungskonsortium möchte nun das Verhalten der Blutzellen unter den Bedingungen im Körper untersuchen.

Im Körper ist Blut ständig in Bewegung. In Blutproben, Reagenzgläsern, auf Objektträgern unter dem Mikroskop fließt Blut jedoch fast nie. Zum Teil sind die Erythrozyten, die dort untersucht werden, sogar schon tot. Dieser Umstand steht dem wirklich fundamentalen Verständnis der Blutzellen bisher im Wege. Viele Informationen, die sich wahrscheinlich ablesen lassen könnten, wenn das Blut möglichst realitätsnah beobachtet wird, gehen so verloren.

Allerdings ist es von grundlegender Bedeutung zu verstehen, wie sich die roten Blutkörperchen im Blutkreislauf verhalten. Denn wird die Anzahl der roten Blutkörperchen aus dem Gleichgewicht gebracht, fließen die Zellen nicht richtig; werden sie deformiert oder ihre Funktion anderweitig gestört, können die verschiedensten Krankheiten entstehen.

Inzwischen werden zwar zunehmend Einzelzell-Untersuchungen gemacht, anders als noch vor 20, 30 Jahren. Heutige Verfahren schauen zwar genauer hin, indem sie einzelne Zellen in Augenschein nehmen, aber diese haben unterschiedliche Eigenschaften. Die eine Blutzelle kann wenige Stunden alt sein, die andere nahe am natürlichen Lebensende einer Zelle von 120 Tagen liegen. Und je nachdem, unter welchen Bedingungen eine Zelle sich gerade befindet, verhält sie sich auch unterschiedlich.

Wir möchten grundlegend den Blutfluss im Körper verstehen lernen, indem wir ihn mathematisch modellieren. Gelingt es, ein mathematisches Modell des Blutflusses zu entwickeln, könnte dieses als Grundlage für viele weitere Forschungen und Versuchsaufbauten dienen, die den Blutfluss und insbesondere das Verhalten der roten Blutzellen im Blick haben.

Konkrete Forschungsziele von EVIDENCE sind etwa die Entwicklung neuartiger diagnostischer Verfahren, zum Beispiel für seltene anämische Erkrankungen, die Entwicklung einer künstlichen Milz im Labormaßstab sowie von im Labor hergestellten roten Blutzellen. Zwar ist es technisch schon heute möglich künstliche Blutkonserven herzustellen, aber eine Konserve kostet dann einige Hunderttausend Euro. Könnte man dieses Verfahren verbessern und damit die künstlichen Konserven günstiger machen, wären diese eine willkommene Ergänzung zu den natürlichen Blutkonserven, da die künstlichen Konserven personalisiert hergestellt werden können und somit auch bei komplizierten medizinischen Fällen eingesetzt werden können.

Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen im Rahmen eines ITN? Warum haben Sie sich für das Instrument des ITN entschieden?
Das Besondere am ITN ist der internationale Austausch. Das beginnt damit, dass die Nachwuchswissenschaftler, die im Projekt promovieren, nicht aus dem Land kommen dürfen, in dem sie dann tätig sind. Das bringt frischen Wind in die Projekte. Außerdem muss jeder Nachwuchswissenschaftler einen Teil seiner Forschungsarbeiten bei Partnern im Netzwerk leisten. Das führt ganz zwangsläufig zu einem intensiven wissenschaftlichen Austausch und erweitert in der Regel das Methodenspektrum der Nachwuchswissenschaftler.

Welche Chancen sehen Sie in der Zusammenarbeit mit Nachwuchswissenschaftlern, und was sind vielleicht auch die Herausforderungen?
Wenn man Nachwuchswissenschaftler promoviert, hat man die einmalige Chance den eigenen Nachwuchs entsprechend auszubilden und ggf. auch zu prägen. Das ist gut für das eigene Forschungsgebiet.

Die größte Herausforderung ist, sich auf die Regeln des ITN einzulassen; ist das einmal verinnerlicht, gibt es eigentlich nur noch Vorteile.

Was macht die saarländische Forschungslandschaft für Ihren Forschungsbereich besonders attraktiv, insbesondere im Hinblick auf ein Innovative Training Network bzw. für Nachwuchswissenschaftler?
Ganz ehrlich? Eigentlich nichts. Im Saarland sehe ich für meinen Forschungsbereich keine Standortvorteile. Daher ist es umso wichtiger europäisch/international vernetzt zu sein. Viele Krankheiten, die wir untersuchen, sind sehr seltene Anämien. Da gibt es so wenige Patienten, dass die Krankheiten gar nicht lokal an nur einem Ort systematisch untersucht werden können, sondern Blutproben kreuz und quer durch Europa verschickt werden. Naja, jetzt gibt es doch noch einen kleinen Standortvorteil: In der EU liegen wir mit dem Saarland für diese Post-Übung sehr zentral!

In die Zukunft geblickt: Was erhoffen Sie sich für das EVIDENCE Nachwuchsteam junger Wissenschaftler?
Für die Nachwuchswissenschaftler wünsche ich mir, dass sie in dem Gebiet, auf dem wir sie ausbilden, auch über das EVIDENCE Projekt hinaus tätig sein können; dass sie Möglichkeiten finden ihre wissenschaftlichen Arbeiten weiter zu finanzieren und nicht kurzlebigem Zeitgeist oder Trends zum Opfer fallen.

Während des Studiums an der Humboldt Universität zu Berlin wurde Lars Kaestner als Physiker ausgebildet. An der Universität Bristol und der Lomonossow Universität Moskau spezialisierte er sich dann auf Biophysik. Während seiner Promotion und in nachfolgenden Positionen war er zunehmend in medizinische Fachgebiete involviert. Nach seiner Promotion im Bereich der Elektrophysiologie, war Lars Kaestner Forschungs- und Entwicklungsmanager beim Pharma-Start-up GentianAS in Oslo. Im Jahr 2003 kehrte er in die akademische Forschung zurück und ist seitdem an der Universität des Saarlandes tätig, wo er versucht die Balance zwischen medizinischer Forschung, der Untersuchung molekularer Signalwege und der Entwicklung neuer Geräte zu halten. Zwischen 2013 und 2018 koordinierte er das EU-Verbundprojekt CoMMiTMenT, initiierte das EU-ITN RELEVANCE und leitet seit Anfang 2020 das ITN EVIDENCE. Aktuell ist Lars Kaestner Professor an der medizinischen Fakultät; der Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit liegt allerdings an der naturwissenschaftlich-technischen Fakultät.

Lars Kaestner
Im Gespräch: Nicoletta Murciano
Zum Interview

“Ziel von EVIDENCE ist es, die nächste Generation kreativer, unternehmerischer und innovativer Nachwuchswissenschaftler auszubilden. … Dies wird durch internationale, interdisziplinäre und branchenübergreifende Mobilität und wissenschaftliche Ausbildung erreicht und bereitet mich optimal auf alle zukünftigen Herausforderungen meines gewählten Karriereweges vor. … ich werde dieses transdisziplinäre Wissen für die Entwicklung neuartiger Diagnosewerkzeuge, -ansätze und -techniken anwenden, um die Ziele des Projekts zu erreichen.”

Nicoletta Murciano, Doktorandin bei Nanion Technologies in München